Saturday, November 18, 2006

Eine Typologie für Pflegeprozesse am Beispiel des Projektes „Pflegeprozess, Standardisierung und Qualität im Dienstleistungssektor Pflege“

In dem genannten Artikel, welcher auf dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Pflegeprozess, Standardisierung und Qualität im Dienstleistungssektor Pflege“ basiert, erläutern die Autoren dessen Ziel eine Struktur zur Erfassung und Dokumentation von Pflegeprozessen im Sinne einer Typologie, sowie eine Standardisierung zum Austausch von Patientendaten zu entwickeln und verbindlich festzulegen. Hierbei soll die Struktur und damit die Übertragung der Daten anhand eines auf Informations- und Kommunikationstechnik basierenden regionalen, nationalen und internationalen Netzwerkes realisiert werden.

Die Autoren konstatieren den Mangel eines institutionsübergreifenden Bezugssystems für Pflegeprozesse und die Tatsache, dass es bisher nur in Ansätzen gelungen ist eine prozess- und qualitätssichernde Standardisierung der Pflegeleistung zu erarbeiten und umfassend einzuführen. Sie entwickeln aus dieser Hauptkritik heraus die Struktur für ein solches Bezugssystem, APLE (Assessment, Planung, Leistungserfassung, Evaluation) genannt und halten fest, dass es den gesamten pflegerischen Prozess abbildet. Hierzu bedienen Sie sich vorhandener Pflegeklassifikationen und ordnen diese einzelnen Schritten des Pflegeprozesses zu, bspw. NANDA dem pflegediagnostischen Prozess, NIC der Pflegeintervention und NOC oder ICNP den Pflegeergebnissen.

Im Rahmen der Datenerfassung und der damit eng in Verbindung stehenden Terminologie der Begrifflichkeiten, die im Pflegealltag benutzt werden, orientieren sie sich an Pflegephänomenen, die positiv als Fähigkeiten eines Menschen und nicht an Krankheitsbildern oder Begriffen der ICD - 10 definiert werden, da die Beschreibung eines Gesundheitszustandes ihrer Meinung nach nicht mit Begriffen aus Klassifikationssystemen für Krankheiten erfolgen kann. Sie weisen darauf hin, dass eine pflegetheoretische Typologie an den bedürfnisorientierten Pflegetheorien ausgerichtet ist, um die Profession der Pflege berufspolitisch von der Medizin abzugrenzen und autonom darzustellen, ferner aus gesundheitsökonomischer Perspektive Pflegeleistungen transparent und finanziell kalkulierbar zu gestalten.

Mit Blick auf diese Argumentation ergibt sich durch die Zielsetzung der Entwicklung einer Struktur zur Erfassung und Dokumentation von Pflegeprozessen im Sinne einer Typologie, sowie eine Standardisierung zum Austausch von Patientendaten eine Basis für ein Pflegeinformationssystem. Der größte Handlungsbedarf, nämlich die Formalisierung und Darstellung von pflegerischem Wissen, die Wissenspräsentation und Patientenklassifikation scheint bearbeitet und die im Artikel genannte Forderung Bartholomeycziks die Pflegeleistungen, die nicht über medizinische Diagnosen abgedeckt sind, darzustellen, um eine Finanzierung der Pflegeleistung zu erreichen, erfüllt.

Durch die Anwendung der DRG’s bzw. der ICD – 10, also medizinisch orientierter Patientenklassifikationssysteme, droht der Pflege im Abrechnungssystem des deutschen Gesundheitswesens allerdings der Ausschluss ihrer spezifischen Leistung und somit der Anspruchsverlust auf deren Vergütung. Vor dem Hintergrund dieses Argumentationspfades erscheint die Aufgabe der Wissenspräsentation und Pflegeterminologie nicht gelöst.
Medizinische und Pflegediagnosen sollten, auch im Hinblick auf eine multiprofessionelle Kooperation und dem Ziel eines gelingenden Behandlungsprozesses, in einem Patienteninformationssystem integriert, aufeinander abgestimmt und zur Abrechnung der Leistungen der einzelnen Berufsgruppen nachvollziehbar organisiert werden. Es ist eine große Herausforderung der beiden Interessengruppen – der Pflege und der Medizin eine uniforme Terminologie zu entwickeln, die den Ansprüchen beider Professionen und weiterer Interessenpartner, wie bspw. der der Kostenträger gerecht wird.

Ohne eine national einheitliche Terminologie und eine entsprechende Kodierung der Diagnosen, Leistungen und Ergebnisse erscheint ein Informationssystem wenig sinnvoll, da man seine Stärken als Organisationsinstrument im Behandlungsalltag nicht optimal nutzen kann. Diese These wird gestützt durch die Tatsache, dass die Pflegeinformatik als Disziplin der Pflegewissenschaft im deutschsprachigen Raum ausschließlich von Verbänden der Medizinischen Informatik ( GMDS, OCG, SGMI ) vertreten wird. Anstatt in der Diskussion um die Kodierung und Terminologie in Konflikte zwischen den berufspolitischen Fronten zu geraten, muss das höhere Ziel an der gleichberechtigten Erfüllung von Ansprüchen aller beteiligten Parteien, also auch der der Patienten, umgesetzt werden.

Weiterhin erscheint die Zielsetzung eines auf Informations- und Kommunikationstechnik basierenden internationalen Netzwerkes wenig sinnvoll, wenn davon ausgegangen wird, dass Pflegeklassifikationssysteme auf bestimmten Pflegetheorien basieren, die in einem hermeneutisch zu verstehenden individuellen, historischen und kulturell spezifischen Kontext entstanden sind und somit ein einheitliches Begriffsverständnis, sowie den Vergleich von erhobenen pflegerelevanten Daten kaum zulassen. Ein qualitativer Zugang ist diesbezüglich empfehlenswert.

Unter Berücksichtigung der angeführten Argumente ist es die Aufgabe der Pflegewissenschaftler, der Praktiker und der Pflegeinformatiker die o. g. Grundlagenarbeit mit den am Behandlungsprozess beteiligten Professionen zu erfüllen.
Erst dann können im Prozess des Software – Engineerings die Benutzerbedürfnisse zu den jeweiligen Informationssystemen spezifiziert, also den Anforderungen des jeweiligen Anwendungsgebietes, nämlich der Patientenversorgung, der Managementaufgabe, bzw. der Aus -, Fort – oder Weiterbildung, angepasst und in die organisatorische und technische Infrastruktur integriert werden.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ergibt sich daraus der Nutzen, den ein solches multiprofessionelles System auch für die Pflege mit sich bringt. Es vereinfacht den Austausch zwischen Angehörigen der Gesundheitsberufe, unterstützt die Pflegepraxis durch klinische Entscheidungshilfen, erteilt Informationen für das Pflegecontrolling und die Allokation der Strukturqualitäten, bspw. des Personalbudgets. Dieses System ermöglicht ein lebenslanges Lernen, indem es während des Arbeitsprozesses einen Rückgriff auf pflegewissenschaftliches Wissen anbietet. Weiterhin gewährleistet es eine stations- und einrichtungsübergreifende Vergleichbarkeit und Auswertbarkeit der Daten und ist somit eine Grundlage für die Transparenz einer professionellen, zielgerichteten und geplanten Pflegeleistung, die mit einer einheitlichen Sprache zur Definition des Gegenstandsbereiches beiträgt.

Durch die Darstellung des Pflegeprozesses mittels eines Informations- und Kommunikationssystems kann es gelingen mit Hilfe eines umfassenden Assessments und den daraus resultierenden Ergebnissen die notwenige Pflege zu begründen, die pflegespezifischen Leistungen darzustellen und die Pflegeinterventionen zu evaluieren, wenn die an das System gestellten Anforderungen der jeweiligen Benutzer im Entwicklungsprozess umgesetzt wurden.

So ergibt sich nach der technischen und organisatorischen Integration des entwickelten Systems in der Nutzungs- und Wartungsphase die Möglichkeit den Erfüllungsgrad der Benutzeransprüche zu messen. Neben der Software – Usability wird in dieser Phase die Ergonomie des Arbeitsmittels betrachtet.

Beispielsweise kann hier gemessen werden, ob die erhobenen Informationen strukturiert, d. h. hierarchisch gegliedert, in der Eingabe durch Hilfen wie Auswahllisten unterstützt, abgelegt werden können und pflegerelevante anamnestische Daten direkte Verknüpfungen zu Pflegediagnosen aufweisen. Um eine weitere Orientierung am Pflegeprozess vorzunehmen, ist die Frage zu stellen, ob die Software ermöglicht auf Pflegediagnosen basierende Pflegepläne zu hinterlegen, die in einem weiteren Schritt Verknüpfungen zu den jeweiligen Pflegemaßnahmen bieten, welche bei bestimmten medizinischen Diagnosen auch Warnfunktionen beinhalten (Maßnahmen zur Pneumonieprophylaxe bei Herzinfarktpatienten).

Betrachtet man die Ergebnisse des im Artikel beschriebenen Projektes, dass Pflegende zwar implizites Pflegewissen besitzen, aber kaum in der Lage sind dieses zu explizieren, d. h. adäquat zu dokumentieren, vor allem in den Bereichen des Assessments und der Evaluation, so erscheint es im Rahmen der Erhebung des Nutzens eines Pflege – oder Patienteninformationssystems wichtig den Pflegenden Erinnerungshilfen anzubieten. Erinnerungshilfen können fehlende Informationen wie nicht dokumentierte Ziele oder etwa Ziele ohne Maßnahmenplanung aufzeigen, eine unvollständige Informationssammlung anmahnen. Messen kann man deren Effektivität einerseits mit der Vollständigkeit der Prozessdokumentation, andererseits dürften sich auch positive Effekte bei der Anzahl der Beanstandungen des MDK ergeben, wenn dieser die Quantität und Qualität der Einträge in der Patientenakte prüft.

Ein übersichtliches, professions-, sowie institutionsübergreifendes Bezugssystem für Behandlungs- und Pflegedaten kann als ein Instrument zur Sicherstellung einer hohen Qualität der Patientenversorgung, zur Unterstützung des Personalmanagements, der Pflegeforschung und Ausbildung, für die Organisationsplanung, sowie zur Qualitätssicherung genutzt werden. Unter Berücksichtigung der eigenen Interessen ist es die Aufgabe des Anwenders unternehmens – und leistungsbezogene Kennzahlen zu formulieren, um den individuellen Nutzen eines solchen Systems messen zu können.

2 Comments:

Blogger Kuredu said...

Wenn in diesem Text von einem professions-, sowie institutionsübergreifenden Bezugssystem für Behandlungs- und Pflegedaten die Rede ist, nehme ich Bezug auf gerade jenes Postulat, dass die Kooperationsbereitschaft der im Kommentar genannten Berufsgruppen zunehmen muss. Ableitbar aus den Zielen, etwa der Sicherstellung einer hohen Qualität der Patientenversorgung, der Unterstützung des Personalmanagements, der Pflegeforschung und Ausbildung, für die Organisationsplanung, sowie zur Qualitätssicherung, kann man hier bspw. den Ansatz einer freiwilligen Entwicklung betrachten. Allerdings glaube ich, auch vor dem Hintergrund der realen Machtstrukturen im Gesundheitswesen, vor allem im Krankenhaus, dass das Implementieren eines solchen Systems nur gesetzlich vorgeschrieben, bzw. von den Geschäftsführern, als Machtpromotoren in den genannten Einrichtungen, durchgesetzt werden kann. Denn "unter Berücksichtigung der eigenen Interessen ist es die Aufgabe des Anwenders", hier also der verantwortlichen Geschäftsführung, "unternehmens – und leistungsbezogene Kennzahlen zu formulieren, um den individuellen Nutzen eines solchen Systems messen zu können."

Ungern möchte ich in diesem Kommentar die aktuelle Situation im Gesundheitswesen zu pessimistisch darstellen. Die oben geschilderte Realität lässt wahrscheinlich keine anderen Zugangswege zur Kooperation zu. Ärzte müssen verstehen lernen, dass eine auf allen Ebenen kooperative Verfolgung der Ziele unabdingbar ist.

13 January, 2007  
Blogger sascha said...

Der Fokus dieses Artikels liegt in starken Maße auf dem positiven Effekt der Darstellung pflegerischen Wissens und setzt diese in direkte Verbindung mit einer möglichen DRG- Finanzierung.
Um eine DRG- basierte Finanzierung zu gewährleisten, sollte meines Erachtens jedoch weniger die Darstellung pflegerischen Wissens allein, als vielmehr pflegerische Interventionen in Form von standardisierter Terminologie abgebildet werden.
Der direkte Vergleich mit dem Fallpauschalenkatalog der medizinischen Diagnosen (G-DRG- Version 2007) lässt den Schluss zu, dass - in Anlehnung an ICD- und OPS- Schlüssel - pflegerische Interventionen, Prozeduren und besondere Leistungen (auf Basis pflegerischer Diagnosen) im Hinblick auf eine mögliche Finanzierung, einen entscheidenden Stellenwert einnehmen werden.
Hierbei spielt die Darstellung pflegerischen Wissens eher eine beiläufige Rolle. Vielmehr wird die Darstellung von durchgeführten pflegerischen Maßnahmen und Interventionen, idealtypisch auf Basis von Pflegediagnosen und Pflegemodellen, einen Platz einnehmen müssen.
Die Frage, welche sich an dieser Stelle aufdrängt ist jedoch, auf Basis welcher Pflegemodelle eine Klassifikation und Terminologie erfolgen sollte. Sicherlich sind, wie im Text beschreiben, Modelle ungeeignet welche ein hermeneutisches Verständnis voraussetzten. Dieses begründet sich unter anderem aus der Tatsache, dass nicht jede Pflegekraft, welche am Pflegeprozess beteiligt ist, dieses Verständnis besitzt und dieses zur Zeit auch noch nicht vorauszusetzen ist.
Mir drängt sich hier die Frage auf, ob eine internationale Klassifikation pflegerischer Praxis in Form von Pflegephänomenen, – Interventionen und Pflegeergebnissen (bspw. ICNP) nicht eine praktikablere Lösung darstellen würde.

Weiterhin hat die beschriebene Möglichkeit der Darstellung des kompletten Pflegeprozesses anhand eines EDV- basierten Dokumentationssystemes sicherlich einen starken Einfluss auf die Prozessqualität, welche jederzeit einer MDK- Überprüfung stand halten kann, auf eine direkte DRG- Finanzierung wird diese Prozessdarstellung sicherlich nur leidlich Einfluss nehmen.

31 January, 2007  

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