Kostensenkung durch die Nutzung einer Elektronischen Patientenakte?
Hübner beschreibt in einer bundesweiten Studie aus dem Jahr 2005/ 2006 den aktuellen Implementierungs- und Nutzungsgrad der elektronischen Patientenakte (EPA). An dieser Studie hatten sich 335 von 2181 Krankenhäuser in Deutschland beteiligt.
Die Studie mit dem Titel „IT- Report Gesundheitswesen“ befasst sich unter anderem mit der Fragestellung wie der aktuelle Status und der zu erwartende Nutzen der EPA- Implementierung in deutschen Krankenhäusern zu bewerten ist.
Als Ausgangssituation wurde beschrieben, dass in der gesichteten internationalen Literatur ein Defizit zur konkreten Aussage zu Nutzen, Status und Potential der EPA bestünde (vergl. Hübner, 2006)(1) und dass, „wenn Aussagen getroffen werden, so stehen überwiegend ökonomische Aspekte im Vordergrund“ (Hübner, 2006)(1). Gründe hierfür liegen in der Annahme, dass sich ökonomische Aspekte anhand einer einfach durchführbaren Kosten- Nutzen- Analyse treffen lassen. Im Hinblick auf Aussagen zur Qualitätssteigerung in der Patientenversorgung durch die Nutzung der EPA, gibt es jedoch kaum auswertbares Material, da allein die Definition des Begriffes „Qualität“ in der Literatur unterschiedlich bewertet wird.
Die relevanten Ergebnisse dieser Studie ergaben unter anderem, dass zum Zeitpunkt der Befragung 8,6% der Krankenhäuser eine „voll funktionsfähige EPA im Einsatz haben“, wobei 42,2% entweder eine EPA bereits besitzen, oder zur Zeit dabei sind diese zu implementieren. Den größten Nutzen sahen 94,7% aller Befragten in der Verfügbarkeit von Daten (Hübner, 2006)(1).
An dieser Stelle sei jedoch anzumerken, dass dieser relativ hohe Anteil von immerhin fast 50% EPA- Nutzung/ -Implementierung in Kliniken das Ergebnis der Befragung von „nur“ 15,4% aller bundesdeutschen Kliniken widerspiegelt. Die Frage welche an dieser Stelle gestellt werden sollte ist, ob und in welcher Form die verbleibenden 84,6% aller Krankenhäuser Interesse an elektronischen Daten- und Pflegeinformationssystemen haben oder diese bereits nutzen, und falls nicht, warum nicht?
Außerdem ist zu hinterfragen inwieweit ein individueller, mitarbeiterbezogener, praktischer Nutzen durch die Implementierung einer EPA innerhalb einer Institution zu erwarten ist und welchen ökonomischen Einfluss eine bessere Verfügbarkeit von Daten auf den Wertschöpfungsprozess hat.
Als eine mögliche Hypothese könnte hieraus hervorgehen, dass eine umfassend implementierte EPA zur generellen zeitlichen Ersparnis bei allen an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen beitragen könnte. Dies wird in einer aktuellen Studie von McKinsey zur Situation von Krankenhäusern in der Bundesrepublik Deutschland deutlich. Hier beschreibt der Autor, dass "unterschiedliche Studien belegen, dass Ärzte (und das ist sicherlich auf Pflegekräfte transferierbar - Anm. d. Verfassers) täglich ein viertel ihrer Zeit mit Suchen von Befunden, Ergebnissen oder Kommentaren verplempern. Mit anderen Worten: Von vier angestellten Medizinern ist einer ausschließlich mit Suchen beschäftigt." (Wilkens, K., 2006)(2) Falls sich diese Zahlen auch nur teilweise auf den pflegerischen Bereich übertragen ließen - Studien hierzu sind mir nicht bekannt - wäre sicherlich ein positiver Einfluss auf den Kostenfaktor "Personalkosten" durch eine einfache Kosten- Nutzen- Rechnung zu ermitteln. Eine verbesserte Datenverfügbarkeit könnte somit den Kostenblock „Personalkosten“ entscheidend senken.
Im Hinblick auf die (Behandlungs-) Qualität lässt sich jedoch, wie oben beschrieben, kaum eine Verbesserung und damit ein praktischer Nutzen belegen. Currell und Urquhart beschreiben in ihrer Studie, dass eine EDV- gestützte Dokumentation zwar eine Zunahme der Dokumentationsquantität bewirkt, eine Verbesserung der Versorgungsqualität jedoch kaum zu belegen ist. Zudem sei der individuelle zeitliche Aufwand bei einem EDV- gestützten Dokumentationssystem deutlich erhöht. „Computerised nursing information studies showed an increase in recording but no change in patient outcomes. Care planning took longer with these computerised systems”. (Currell R, Urquhart C, 2003)(3). Hieraus ergibt sich, dass Personal durch eine verbesserte Datenverfügbarkeit Zeit einsparen kann, jedoch durch eine Vermehrte quantitative Dokumentation Personal gebunden wird, ohne dass hierdurch die Versorgungsqualität für den Patienten steigt.
Dies stellte bereits der Verfasser des Bloggs “Zeitersparnisse durch Pflegedokumentationssysteme“ fest und belegte dies durch eine entsprechende deutsche Studie.
In den meisten Studien, welche einen erhöhten Zeitaufwand bei der Dokumentation von Leistungen innerhalb eines Versorgungsbereiches beschreiben, fand jedoch die Datenerhebung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums statt. Meiner Meinung nach ist durch die langfristige Nutzung von EDV- gestützten (Pflege-) Informationssystemen eine individuelle Zeitersparnis durch Routinierung in der Anwendung mit diesem Instrument zu erwarten. Studien, welche diese Annahme bestätigen stehen zur Zeit jedoch noch aus.
Das städtische Klinikum Gütersloh erprobte seit 2002 die EPA als Medium der Dokumentation mit dem Ziel, die zur Verfügung stehenden Zeit im Sinne der Patienten besser nutzen zu können und eine erhöhte Transparenz zu erreichen (vergl. Pflegebrief, 2003)(4). Jedoch wurde in dieser Implementierungsphase sowohl die elektronische-, als auch ein konventionell schriftliche Dokumentation parallel geführt. Diese Tatsache erhöht in aller Regel nicht die Akzeptanz bei den beteiligten Berufsgruppen für den Einsatz des neuen Mediums.
Inwieweit die Erwartungen des Klinikums nach der regelhaften Implementierung der EPA im Hinblick auf den zu erwarteten Nutzen erfüllt wurden, ließ sich jedoch an dieser Stelle nicht recherchieren. Auch hier wären weiterreichende, begleitende Studien wünschenswert gewesen.
(1) Hübner, U., Elektronische Patientenakte (EPA) – aktueller Status und Nutzungspotentiale in deutschen Krankenhäusern, 2006, http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06/gmds333.shtml gesichtet: 12.12.2006
(2) Wilkens, K., McK, Wissen 19, Krankenhaus, Dezember 2006, S. 128
(3) Currell R., Urquhart C., Nursing record systems: effects on nursing practice and health care outcomes, 2003, http://www.cochrane.org/reviews/en/ab002099.html gesichtet: 22.12.2006